Über Katharina von Siena
Die heilige Katharina von Siena
Die graue, der Straße zugekehrte Betonwand der St.-Katharina-Realschule Landstuhl wird von einem vier Meter hohen Mosaikbild beherrscht, das durch Form und Farben den Blick der Passanten auf sich lenkt. Eine plastisch hervortretende raue Umrandung von unterschiedlicher Breite hebt die darin eingeschlossene Welt entscheiden vom alltäglichen Leben ab.
Eine Frauengestalt, die durch die Farbe ihres langen Gewandes, den Rosenkranz an ihrer linken Seite und den unter ihrem rechten Arm aufrecht stehenden Schild als Dominikanerin gekennzeichnet ist, erhebt sich in der Mittelachse des Mosaiks. Zwei kleine Buchstabensäulen rechts unten – innerhalb bzw. auf dem Bildrahmen – teilen ihren Namen mit: Katharina von Siena. Die Lettern des Taufnamens erscheinen wie in die Stadtmauer der mittelalterlichen italienischen Stadt eingefügt, denn von hier aus beginnt Leben und Wirken dieser ungewöhnlichen Frau. Bis zu ihrer Schulterhöhe ragt die durch hell- und dunkelbraune, unregelmäßige Mosaiksteine dargestellt Mauerwand und setzt sich für das geistige Auge des Beschauers über den Bildrand fort; denn Städte mit hohen Häuserfronten und gepflasterten Straßen sind die Hauptorte des bewegten Lebens unserer Heiligen. Nach Florenz, Avignon und Rom führte sie ihre Sorge um den Frieden und um die Freiheit und Einheit der Kirche. Ein solcher Lebensweg ist hart; darauf deuten im Bild die strengen Linien, die den Faltenwurf des Kleides, den Rosenkranz und den Wanderstab als Drei- und Vierecke erscheinen lassen.
Zu ringen mit der Schwäche, Gleichgültigkeit und Bosheit der Umwelt, ist Katharina aufgetragen. Das überfordert oft die Kräfte dieser fast körperlos erscheinen Frau. Doch der Schild zu ihrer Rechten ist nicht nur Wappenzeichen ihres Ordens, er ist, zusammen mit dem hoch über ihm leuchtenden Stern, dem Zeichen der göttlichen Wahrheit, Schutzwehr im Kampf. Seine scharf abgegrenzten, zur Mitte hin spitz zulaufenden Felder von Hell und Dunkel lassen keine Grenzverwischung zu: Wahr und Falsch, Gut und Böse müssen klar geschieden bleiben. Sein Achsenkreuz, das in der ursprünglichen Wappenzeichnung als schlankes „Lilienkreuz“ erscheint, ist hier durch Hellgelb und Ocker plastisch herausgearbeitet und erscheint massig und stark; die Blütenform am Ende jedes Kreuzesarmes ist so umgestaltet, dass sie mehr der Spitze mittelalterlicher Hellebarden als einer Lilie ähnelt.
Noch mehr als Schild und Stern weist der Wanderstab der heiligen auf die himmlische Welt hin, der sie zugeordnet ist. Er reckt sich von der Erde über die Mauerhöhe hinauf und endet als Kreuz inmitten der strahlenden Sonne der Gottheit. Jesus, der als Gottes Sohn in der Dreifaltigkeit seine Heimat hat, ist Katharinas Weggefährte und Stütze.
Von ihm empfängt sie ihre Befehle: Wenn er sie gehen heißt, dann geht sie, wenn er ihrem Eifer Einhalt gebietet, indem er sie mit Schmerz und Krankheit heimsucht oder sie in die Höhen der Beschauung ruft, dann stehen ihre Füße still, so wie auch in unserem Bild Gehen und Stehen zugleich angedeutet sind.
Das obere Bilddrittel hebt sich vom untern Teil durch den Mauerabschluss, der auch als eine Art Horizont gesehen werden kann, deutlich ab. Herrschen im unteren „irdischen“ Teil die gebogenen, bewegten Linien charakteristisch. Verweht unten das Erdbraun der Mauer jedweden Ausblick vom Jetzt und Hier aus, so lassen oben die dunklen, funkelnden Farbtöne den Betrachter weitere Weiten ahnen. Angedeutete Gewölbebogen, die sich in spitzen Winkeln begegnen, weisen auf sakrale Räume hin, deren Geheimnischarakter durch die Farben Schwarzblau und Dunkelgrün angedeutet ist.
Über einem von der äußeren Linken des Horizontes aufsteigenden Kreisbogen ist der gestirnte Himmel sichtbar. Doch ehe die Kurve den rechten Bildrand erreicht, wird sie überdeckt von der Scheibe der göttlichen Sonne. Diese als dichteste Stelle des gesamten Kunstwerkes ist sorgfältig durchstrukturiert.
Der das Kreuz umschließende innerste Kern und der zum Gesicht der Heiligen hin geöffnete Sektor leuchten in hellstem Gelb. Der übrige Teil zeigt auf blauem Untergrund radial nach außen strebende Strahlen, die in einem inneren Ring dicht gedrängt und farblich hell, dem Rande zu gebündelt, in lichtem Rotbraun erscheinen. Elfenbeinfarben leuchtet Katharinas Antlitz aus dem Tiefblau ihres Schleiers, wie ein kleiner Planet gegenüber der großen Gottessonne. Die Gesichtszüge sind kindlich ernst, die Augen weit offen, der Blick scheint verloren in der Schau unaussprechlicher Dinge. Der Kopf ist zurückgeneigt, bereitwillig Raum gebend dem reinen Licht der Gottheit, das in kraftvollem Strom sich in ihr Inneres ergießt. Das Glück solch hoher Gotteserfahrung schwingt in den bewegten Linien dieses Bildausschnittes: dem feinen Oval des Gesichts, der sanften Rundung der Schultern, der gelösten Gebärde der Arme und Hände. Doch der weiße Lichtstrom scheint diagonal durch die Gestalt hindurchzudringen und auf dem Schild wieder aufzustrahlen: Die Seligkeit der Gottesbegegnung wird zur Kampfkraft im Leben. Das Blau himmlischer Weite und die Helle des göttlichen Lichts finden ihren Weg auch in unsere enge, glanzlose Welt durch das Sein und Wirken des begnadeten, des heiligen Menschen.
So will Katharinas Bild uns, die Menschen auf der Straße und die Jugend in der Schule, lehren: dass wir lauschen auf den Anruf der Stimme Gottes und uns erreichen lassen vom Notschrei der Menschen; dass wir Ausschau halten nach dem Ewigen und uns tätig oder leidend einsetzen in unserer gegenwärtigen Welt und Zeit.
Sr. M. Petronia Steiner (1908 – 1995)